Dienstag, 25. Januar 2011

Antwort auf einen Verriss zweier Essays von Thomas Mann

Thomas Mann ist einer von zwei Autoren, die so schreiben, wie mein Herz schlägt. Er steht mir näher als andere, die ich auch sehr liebe und gut kenne. Deshalb bin ich bestrebt, buchstäblich alles von ihm zu besitzen und zu lesen. Als ich kürzlich der FAZ entnahm, dass er zwei bedeutende Essays verfasst hat, die ich noch nicht kannte - weil sie in den Essay-Bänden der Stockholmer Gesamtausgabe nicht enthalten sind - habe ich sofort bestellt und nachgekauft. Zuerst bekam ich "Nietzsches Philosophie im Licht unserer Erfahrung" als Suhrkamp-Sonderdruck von 1948, ein zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges und nicht nur von literarischem oder philosophischem Interesse. Danach bestellte ich Neue Studien, wieder bei Suhrkamp 1948, dieser Band enthält beide Essays, sie sind, wie gesagt, erst in der Nachkriegszeit bei uns erschienen; geschrieben und zuerst veröffentlicht wurden sie in USA.

Beide Essays halte ich für Meisterwerke, sie haben mich erschüttert und aufgewühlt.

Eben deshalb interessiert es mich, weshalb derart scharf absprechende Urteile möglich sind, wie sie in einem Online-Literaturforum veröffentlicht werden (http://135889.homepagemodules.de)
Ist das mehr ein "Gefühl", eine schwer zu definierende, instinktive Abneigung, wie wenn man jemand "nicht riechen" kann? Oder sind bestimmte Formulierungen gemeint? Oder ist es ein Widerstreben gegen Manns historische Tiefe, also den zeitgeschichtlichen Kontext ("was geht mich die deutsche Geschichte an, was hab ich mit Hitlers Verbrechen zu tun"? Und weshalb hat der Verfasser des Niederrisses den 60 Jahre alten, gar nicht überall erhältlichen Band überhaupt erstanden?

Übrigens ist mir so etwas wie instinktive Abneigung gegen bestimmte Autoren nicht unbekannt. Beziehungslosigkeit gegenüber auch sehr berühmten und besonders zu ihrer Zeit geliebten und verehrten Autoren kenne ich von mir selbst. Allerdings versuche ich dann zu verstehen, weshalb es mir nicht gelingt, mich von dem Autor angesprochen zu fühlen; manchmal bemühe ich mich ohne Erfolg darum und der Autor bleibt mir fremd, lässt mich weiterhin kalt. Bedeutende Texte bedeuten zu verschiedenen Zeiten und für manchen Leser Unterschiedliches.

Andererseits gilt mancherlei als gesichert. Thomas Mann war die Stimme des „anderen Deutschland“, und zwar die einzige, die weltweit gehört wurde. Besonders in den Essays und ganz besonders auch in denen der Neuen Studien spricht dieses andere Deutschland uns noch einmal an. Ich hab wie so oft wieder mit tiefster Liebe und Achtung, und auch mit Ehrfurcht gelauscht.

Der besonders absprechende Einwand - "Thomas Mann war, im Gegensatz zu seinem Bruder, ein ewiger Zuspätkommer, was die Politik angeht" - entspricht nicht den Tatsachen.

Carl von Ossietzky" in der Weltbühne vom 21. Oktober 1930: "Dank sei Thomas Mann, dass er aus der Reihe der schweigenden Geistigen heraustritt ... " 1930 war es noch an der Zeit und TM kein Zuspätkommer. Meint Ossietzky.

Bei den Reichstagswahlen vom September 1930 hatte die Nazipartei einen Erdrutschsieg errungen, mit 107 Abgeordneten (vorher 12) stellte sie plötzlich die zweitstärkste Fraktion nach der SPD. Da die KPD ebenfalls Zugewinne verbuchte und mit 77 Abgeordneten vertreten war, näherte das Parlament sich der Handlungsunfähigkeit. Man musste etwas gegen die drohende Gefahr unternehmen. Was kann ein Schriftsteller tun? Er setzt sein Wort ein.

Thomas Mann hielt eine Rede. Er rief in Berlin das Bürgertum, dem er sich zugehörig fühlte, zum republikanischen Bündnis vor allem mit der deutschen Arbeiterschaft auf.

Gauleiter Goebbels entsandte 20 SA-Männer zwecks Störung in den Saal, und der Autor Bronnen arrangierte lautstarke Zwischenrufe. Von da an bezeichnete die NS-Presse den Literaturnobelpreisträger von 1929 gern als "Halbbolschewiken" (so im Völkischen Beobachter). Nachdem 1933 Heinrich Himmler Polizeipräsident von München geworden war, wurde TM zur Verhaftung ausgeschrieben. Autor Johst beantragte ausdrücklich, TM eine „Sommerfrische in Dachau“ zu verordnen, nämlich die Einweisung ins KZ.

1930, als Thomas Mann seine Berliner Rede hielt, war „das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen", wie der Kritiker höhnt. Jedenfalls nicht nach Ansicht der Weltbühne und ihrer Autoren. Im Jahrgang 1930 ist nachzulesen, dass man Hitler und seine Partei noch für verhinderbar hielt. "Zum Pässebesorgen und Kofferpacken liegt gar keine Veranlassung vor. Um den Juden eins auszuwischen, müsste man die Verfassung ändern. Wo ist die nötige Zweidrittelmehrheit?" beruhigt "Quietus" (=Walther Karsch) die Leser der WB. 1930! Karsch war regelmässiger Mitarbeiter.

Thomas Mann durfte also noch hoffen, die Vernünftigen zu überzeugen. Ausser er wäre schlauer gewesen als zeitkundige Autoren der Weltbühne wie Ossietzky und Karsch.

"Entlaufen scheint die Menschheit wie eine Bande losgelassener Schuljungen aus der humanistisch-idealistsichen Schule des 19. Jahrhunderts, gegen dessen Moralität unsere Zeit einen weiten und wilden Rückschlag darstellt. Alles scheint erlaubt gegen den Menschenanstand". Die in den Phantasien der Reaktion abgeschaffte Freiheit erscheine "nun wieder in zeitgemässer Gestalt als Verwilderung", als "Emanzipation der Roheit"... Die „exzentrische Seelenlage einer der Idee entlaufenen Menschheit“ werde "zum Massenopiat des Dritten Reiches"... Der wörtlich benannte Nationalsozialismus wird einer Bewegung weltweiter Barbarei zugerechnet und gebrandmarkt, Stalins Rgeiment übrigens auch.

Die Deutschen dürften der Welt kein Beispiel von Narretei geben.

Undsoweiter, die Brillanz der Formulierungen sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass TM sich mit diesen Äusserungen in Lebensgefahr begab. Ebenso riskant formulierte er in anderen, noch folgenden Vorträgen und Aufsätzen, und zwar noch vor der "Machtergreifung" und nicht erst, als es zu spät war.

Von seinen Kindern beraten, kehrte er 1933 aus der Schweiz nicht nach Deutschland zurück Er entging so dem KZ. Auf Berman-Fischer hörend, der verzweifelt seinen Verlagsbesitz zu retten versuchte, und in ständiger Abstimmung mit den ebenfalls im Fischer-Verlag erscheinenden Hermann Hesse und Annette Kolb, zögerte er seine Solidaritätserklärung mit der deutschen Emigration hinaus bis 1936 – was ihm diejenigen nicht verzeihen, die sich ihrer moralischen Integrität in jeder, auch prekärster Situation völlig sicher sein dürfen.

Dass seine Kinder Zuwendung vermissten, ist der Kritik ein heftiges Ärgernis - und ein Grund, TM menschlich zu verabscheuen. Da wir alle unsere Kinder so erziehen, wie es sein soll und sein muss, dürfen wir in dem Maß stolz auf uns sein, wie TM sich hätte schämen müssen.

Die in Lieblosigkeit aufgewachsenen Kinder sind auf rätselhafte Weise dennoch charakterlich gediehen, jedenfalls haben Klaus, Erika, Golo Uniform angezogen und gegen die Nazis gekämpft, als es im Falle einer Gefangennahme sehr hässliche Folgen haben konnte. Vater Zauberer, weil lieblos, hätte Folterung und Hinrichtung seiner Kinder gewiss mit Gleichmut ertragen - ?

Eine Äusserung Enzensbergers aus seinem Buch über Hammerstein kommt mir in den Sinn: "Wer Leuten, die mit ihrem Leben bezahlt haben" - ich ergänze: mit ihrem Leben zu zahlen bereit waren - "aus ihren politischen Irrtümern einen Vorwurf macht" - ich ergänze: oder aus menschlichen Unzulänglichkeiten, deren wir keine aufweisen - "leidet an einer Form nachträglicher Besserwisserei, die von moral insanity nicht weit entfernt ist."

Die Äusserung, sag ich, kommt mir in den Sinn. Aber vielleicht ist sie ergänzungsbedürftig. Hass auch in der milderen Form der Abneigung entspringt oft rational schwer erreichbaren Prägungen. Meine Argumente zugunsten TMs sind zwar richtig (mit den Tatsachen übereinstimmend), doch letztlich stammen auch sie aus dem emotionellen Bereich. Es gibt nur einen anderen Autor, mit dem ich mich so intim verbunden fühle, es ist Raymond Chandler. Beide Autoren verbinden ganz starke Sinnlichkeit mit einer ebenso starken Verpflichtung für Verantwortung und Moral. TM liebte heranwachsende Jünglinge, aber er sagte, er würde nie einem solchen geliebten Wesen wehtun können oder wollen. Chandler war fasziniert, fast berauscht von weiblicher Schönheit, er hat sie gefeiert (The long Good-bye, die Stelle, wo er Ellen Ward zum ersten Mal erblickt, nicht nur "sieht"). Er sagt dennoch: Philip Marlowe (sein alter ego in den Romanen) würde nie eine Jungfrau verführen.

Wir sind Tiere unserer triebhaften Ausstattung nach - aber wir stehen als Menschen auch in einer vertikalen Spannung "nach oben" (Sloterdijk in seinem Tübinger Vortrag "Optimierung des Menschen?"

Noch ein Wort zu dem Einwand, TM habe nur für Eliten geschrieben. Meine Tante Lilo war eine einfache Frau, als Telefonistin immer knapp bei Kasse, daher bezog sie ihre Bücher vom Bertelsmann-Lesering, wo sie in Raten bezahlen konnte. Auf ihren Bord standen drei Romane von TM : Buddenbrooks, Königliche Hoheit, Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Alle drei hatte sie auch gelesen und sich über Verständnisschwierigkeiten nie beklagt. Ich selbst hab in der Schule den Krull vorgelesen gekriegt, und zwar liess der Lehrer uns das Kapitel vortragen, wo Krull sich zum Wehrdienst empfiehlt - zu empfehlen scheint. Wir lagen vor Lachen schier unter den Pulten. Soviel zum Elitrarismus.

Aber wie gesagt, kein Argument erreicht den emotionellen Bereich, aus dem auch meine Bemerkungen stammen. Dass ich es nur gestehe: Ich bin jung gewesen, als ich TM kennenlernte - und Benn, Brecht, Tucholsky ... und Chandler.
Ich verjünge mich, wenn ich sie aufschlage.

"Nicht sehr ergiebig im Gespräch, Ansichten waren nicht seine Stärke, Ansichten reden drumherum..." Benn folgend will nun auch ich meine Ansichten für mich behalten und euch die Diskussion überlassen.

Sonntag, 16. Januar 2011

Verhunzte Aufklärung

Die Trivialisierung des Göttlichen, dessen Verhunzung zu kleinbürgerlichen Wunschträumen, ist seit langem marktführend. Aus der Allmacht Gottes wird die von Superman, aus gottgewirkten Wundern ein Rückfall in plumpe magische Tricks: Harry Potter fliegt durch Wände. So hatte ich mir die Aufklärung nicht vorgestellt.

Andererseits wird das Böse mystifiziert, wird als unausrottbar und allgegenwärtig dargestellt: Serienkiller und Psychopathen gehen um in den populären Fantasien. Und in den Genres, die Wünsche bedienen (während sie von der Kunst problematisiert werden).

Der Trivialisierung und Profanierung des Göttlichen entpricht eine Mystifizierung des Teuflischen. Beides ist kleinbürgerlichen Ursprungs. Der Spiesser fingiert seine Allmacht und entschuldigt praktische Trägheit damit, dass er eh nichts ausrichten könne.

Sonntag, 9. Januar 2011

Kitsch und Kunst, Emotion nund Sentimentalität

Gestern in der Auslage eines Geschäfts für Kleinigkeiten sah ich eine offene Muschel, in der ein Knäblein schlief: Kitsch, das ist Niedliches ohne reale Existenz, kann sogar Schönheit sein, die keinen Realitätsbezug mehr hat.

Warum sind griechische Statuen schön und nicht etwa kitschig, obgleich es vollkommene Gestalten in der Wirklichkeit nicht gibt? Weil eine griechische Statue keine menschliche Gestalt meint, sondern eine göttliche. Der Marmor soll nicht die Wirklichkeit darstellen, sondern ein Ideal. Dieses Ideal allerdings hat sehr wohl Realität für den Griechen der Antike. Die Griechen lebten damals mit ihren Göttern und verehrten sie.

Van Gogh malt das Zimmer im Irrenhaus von St. Remis, in dem er Heilung von seiner Schizophrenie sucht. Für ihn ist dieses Zimmer real, die Schuhe einer Bäuerin sind es, Sonnenblumen, der drohende nächste Anfall, der sich in schwarzen Vögeln über einem goldenen Kornfeld ankündigt. Er malt nicht den Apoll, an den er nicht glaubt - auch keine Aphroditen, obgleich sie sich gut verkaufen würden, denn der Markt hängt am alten, am "klassischen" Schönheitsideal, und merkt nicht, dass es unwahr geworden ist. Nachgemachte Schönheit ist Kitsch. Nur Wahres ist schön.

Ähnlich ist es mit unseren Gefühlen. Wenn sie unwahr sind, nennen wir sie sentimental. Den Hurra-Patriotismus, der davon absieht, dass auch andere Völker Grosses geleistet haben. Das Schwelgen in Erinnerungen, die sortiert und absichtlich unvollständig sind. Schwärmerei ohne Rücksicht auf Konsequenzen.

Kunst will Wahrheit, Gefühl scheut sie nicht.
Kitsch vermeidet Wahrhaftigkeit, und Sentimentalität lügt bewusst.