Freitag, 6. August 2010

Vom Nutzen der Ehre

Den point d’honneur gibt es in allen Berufsgruppen. Er besteht darin, Vertrauen nicht zu enttäuschen – niemals willentlich und so selten wie möglich ohne Absicht.

Den Bankiers vertraut keiner mehr. Sie haben Geld, das ihnen nicht gehörte, verzockt. Ihr Persönlichkeitsprofil können sie in Dostojewskis Roman Der Spieler erkennen.

Und auch Politiker, Gewerkschafter – sie sind auf Mehrung ihres, nicht unseres Vermögens bedacht. ver’di-Chef Bsirske ist während des von ihm unterstützten Streiks bei der Lufthansa mit eben dieser Gesellschaft Erster Klasse gratis in die Südsee geflogen, in Begleitung seiner Familie. Er hat sich hinterher entschuldigen müssen – aber warum konnte es ihm einfallen? Er hat sowenig Anstand bewiesen wie Edmund Stoiber, dem das Wort von der durchrassten Gesellschaft entfuhr. Auch er nahm zurück, aber – siehe oben. Anständigen Menschen fällt so etwas gar nicht ein, nicht nach Anne Franks Hinsiechen in Bergen-Belsen! Sowas sagt man nicht.

Und Josef Ackermann? Er tut sich viel darauf zugute, dass die von ihm geleitete Deutsche Bank in der Krise nicht durch Steuergelder unterstützt werden musste. Aber er hat für viele Milliarden Euro griechische Staatsanleihen gekauft und an den überhöhten Zinsen verdient, die Griechenland garantieren musste. Als die Garantien nicht mehr erfüllt werden konnten, haben wir einspringen müssen – wir mit unseren kleinen und mittleren Einkommen. Ist das anständig? Wenn nicht, warum ist er Berater der Bundeskanzlerin?

Die Manager haben das Gemeinwohl nicht mehr im Auge, die Oberschicht hat keine Vorbildfunktion mehr, die Politiker haben das Vertrauen verloren. Das hat Per Steinbrück jetzt in einem Fernsehinterview gesagt: er hat recht.

Die Ehre, wenn sie einmal verwirkt ist, kann nicht leicht zurück gewonnen werden. Es gab nach Bismarcks erfolgreichen Reichsgründungskriegen wohl kaum eine geachtetere Institution in unserem Land als den Generalstab. Als im Zweiten Weltkrieg der Generalstab die Fronten deckte, hinter denen die SS ihre schauerlichen Verbrechen beging, verwirkte der hochrangige deutsche Offizier seine Ehre. Niemand würde heute noch einen General für besonders achtbar halten, er ist es nicht mehr oder weniger als ein Abteilungsleiter im Kaufhaus. Sie haben Verbrechen gedeckt – nicht sie persönlich! Es waren Vorgänger, die den Stand besudelten. Aber besudelt ist er.

Das Ausmass des Ehrverlustes wird deutlich, wenn wir uns klar machen, dass nicht wenige hohe Offiziere ihr Leben geopfert und sogar das ihrer Familien aufs Spiel gesetzt haben, um ihre Irrtümer gut zu machen. Ihrem Stand den alten Respekt zu sichern ist ihnen nicht gelungen. Die Ehrung der Widerstandskämpfer an jedem 20. Juli hat dem Generalsrang keine besondere Achtung zurück gewonnen.

Eigentlich ist es nur nützlich, bei jeder Art Dienstleistung die Bedürfnisse derer in Rechnung zu stellen, von deren Vertrauen man profitiert. In Dashiell Hammetts Roman Der Malteser Falke liefert Privatdetektiv Sam Spade die Mörderin seines Partners der Justiz aus, obgleich er sie liebt. Von Ehre ist dabei keine direkte Rede. Er sagt ihr, bevor er sie ausliefert, von einem Privatdetektiv werde erwartet, dass er den Mord an seinem Partner aufklärt. Man werde ihn nicht mehr achten, wenn er das nicht fertigbringe. Er lebe von seinem guten Ruf.

Ähnlich Philip Marlowe in Raymond Chandlers Roman The long Good-bye. Der Staatsanwalt niimmt Marlowe in Beugehaft, um eine Aussage gegen Mrlowes untergetauchten Mandanten zu erzwingen. Marlowe antwortet: Wenn ich meinen Klienten preisgebe, bloss weil Sie mich einstecken, habe ich bald keine Klienten mehr.

Unsere Manager und Bankiers, Politiker und Gewerkschafter haben nicht nur ihre Ehre verwirkt, auch ihren Eigennutz riskiert. In USA begreifen einige ihrer Kollegen, was geschehen ist und noch geschehen könnte. Die 40 Milliardäre, die dort die Hälfte ihres Vermögens verschenken wollen, zielen auf Wiederherstellung ihrer Berufsehre und unterstreichen zugleich ihre Nützlichkeit für die Gesellschaft. Ob es gelingt?

Grundwiderspruch: Briefwechsel mit einem Freund

Ein befreundeter Agnostiker schrieb:
Apropos: „Atheismus“. Das ist ein für mich philosophisch so oder so völlig unhaltbarer Begriff: „Sine-Theismus“ wäre schon viel besser. Was man nicht weiß, kann man auch nicht widerlegen. Höchstens leugnen, und das ist ja keine Erkenntniskategorie. Und „Sine Theismus“ schließt dann dankenswerterweise ja auch jeden Zwang zu einer Theodizee bei denen aus, die sich zu Recht gegen einen platten Atheismus verwahren. Wie kann ich schließlich per „Beweis“ abzufertigen versuchen, was immerhin für sehr viele Menschen zumindest denkbar erscheint. Sollen sie sich dann doch in jedem Kulturkreis ihr spezielles Bild von „Gott“ machen. Für unseren hat sich wohl Goethe (Pantheismus) am besten aus der Sache herausgewunden.
(Persönliche Anmerkung: Ich bin halt mit einem absolut „katholischen“ Gott aufgewachsen und entsprechend geprägt. Als mir dann – damal war ich 16 – unser Religionslehrer, ein durchaus freundlicher Kaplan, den Grundwiderspruch dieses Gottes – das bezieht nun aber auch den evangelischen Gott – nicht erklären konnte, habe ich mich umgehend von diesem Konstrukt verabschiedet. Meine Frage hatte gelautet: „Wenn Gott die Liebe ist und Gott alles geschaffen hat, dann hat er ja auch das Lieblose, das Böse geschaffen. Und offenbar nur zu dem Zweck, uns ‚frei’ entscheiden zu lassen – für ihn oder gegen ihn. Und weil wir es normalerweise nicht schaffen, ein gottgefälliges Leben zu führen, lässt er sich dann am Ende gnädig dazu herab, uns zu ‚erlösen’. Das ist hinterhältig, absolut hirnrissig und nicht nachvollziehbar. Mit so einem Gott kann ich nichts anfangen.“ – Na ja, Du ja offenbar auch nicht… Der Kaplan war entsprechend verdattert, denn mit dem AT wollte er mir jetzt ja auch nicht kommen, und was etwa eine Flucht ins Dialektische angeht: da war ich als Schüler eines altsprachlichen Gymnasiums schon von Platon verdorben; Hegel kam ja erst später…)
Mit agnostischem Gruss –
Re Mike Molsner:
Dein schon mit 16 gefundener Grundwiderspruch in unserer traditionellen Gottesvorstellung gibt allerersten Köpfen der Theologie zu denken, nicht nur dir und mir. Jedenfalls entnehme ich das einer eher beiläufigen Bemerkung des von mir bewunderten Theologen Ratzinger/Benedetto. Er spricht da, als wäre er für einen ausführlichen Kommentar noch nicht ganz gerüstet, schüchtern von der "sonderbaren Grausamkeit des alttestamentarischen Gottes" (ich zitiere nach dem Gedächtnis sinngemäss). Ich musste laut auflachen, wie öfters bei ihm, ich finde seine unbefangene Ehrlichkeit liebenswert und erheiternd, sogar auf sympathische Art komisch. Kurzum, ich mag ihn als Schriftsteller und finde ihn überaus anregend als Denker.
Der alttestamentarische Gott ist sogar von befremdlicher und uns heute abstossender Brutalität: Da sollen die Feinde Israels ratzebutz vernichtet werden, mit allen ihren Tieren und Ölbäumen (!!), und wer das nicht befolgt, den versenkt er in den Erdboden bis in die soundsovielte Generation. Das sind ja nun harte Worte. Etwas schwächlich - wie ich finde - deutet Ratzinger an, wo er die Lösung suchen wird, falls die verbleibenden Jahre ihm Zeit dazu lassen: Der mitwandernde Gott Abrahams sagt jeweils das, was die auf Wanderschaft befindliche Schar seiner Treuen eben noch begreift. Am Anfang war das Wort, das begreifen sie. Am Anfang war der Urknall, das hätte niemand kapiert. Kann ich nachvollziehen.
Nachvollziehbar auch, dass die Leute damals urige und blutrünstige Instinkte bewahrt hatten, bis in die elisabethanische Zeit reichte das. Vor kurzem erst prallte ich förmlich zurück vor Lytton Stracheys Schilderung der öffentlichen Hinrichtung eines zunächst sehr angesehenen jüdischen Arztes, der aus Spanien nach London zugezogen war. Die doch bewunderungswerte Elisabeth I. hat ihn als angeblichen Agenten Philipps II. zum Tod verurteilt auf Grund blosser Denunziation. Die Art der Hinrichtung ist es, deren Details heute schwer zu ertragen sind.
Strachey weist auf den bemerkenswerten Widerspruch hin, der darin liegt, dass gleichzeitig zarteste Empfindungen ausdrucksfähig waren: We are such stuff as dreams are made on, and our lttle life is rounded with a sleep - und die unzähligen anderen.
Seit ich Stracheys Elisbeth and Essex gelesen hab, ist mir erst klar, wie Shakespeare die unglaublich grausamen Königsdramen sozusagen daneben stellen konnte! Wieso ihm das emotionell überhaupt möglich war.
Mir scheint, "unser Papst" betont als Theologe stets die insgesamt eben doch kultivierende und zivilisatorische Leistung der christlich geprägten Tradition. Dass immer wieder heidnische Reste diese Tradition durchschiessen, und mit welch sadistischem Blutdurst gepaart, leugnet er nicht, und es betrübt ihn - während er unverdrossen auf die Fortschritte hinweist, die dennoch gemacht wurden und künftig möglich sein könnten.
Wichtig erscheint mir, und geradezu kulturwendend zumindest der Denkbarkeit nach, dass die Verurteilung Galileis ausdrücklich zurückgenommen wurde, und der Zusammenhang zwischen Glauben und Wissen für unverzichtbar erklärt. Ratzinger sagt klipp und klar: Ein Glauben, der der Vernunft widerspricht, muss (!!) absterben - während Vernunft ohne Glauben in Barbarei endet. Beides halte ich für historisch erwiesen und Ratzinger insofern für einen Meilenstein in der Kirchengeschichte, die ja doch auch Kulturgeschichte ist und nicht nur das Gegenteil: Geschichte von Kulturverhinderung; das wäre doch eher ein Verdikt im alttestamenarischen Ton, dessen unsereins sich entschlägt (wie TM zu sagen pflegte).
Aber das alles ist ja nur Geplauder, und dass ich ich so rede, verrät dir zunächst nur eins: Es fehlt mir an Gesprächspartnern - obgleich ich seit einiger Zeit hier einen gefunden hab; aber einer ist halt nicht genug ;-))
Kurzum, mir fehlt die intellektuelle Szene von 68-78 und hat nie aufgehört mir zu fehlen. Du hast dafür die Sonne, den Wein und die Oliven. Viel Freude damit!
mike