Dienstag, 2. Februar 2010

Unser Papst

Ich hab vom Papst geträumt! Er war ganz in Weiss, und wie einst Thomas Mann vor Pius XII. sank ich ergriffen in die Knie, mir kamen die Tränen. Weshalb? Gefühl der Heimkehr. Er drückte mich an sich, stehen bleibend drückte er meinen Kopf an seinen Körper. Eine väterliche Geste: Ja, komm heim.

Ich stand dann natürlich auf und sagte lachend: Eigentlich mag ich Sie ja vor allem als Kollegen: als Autor! Ich hab alles oder fast alles von Ihnen gelesen. Da strahlte er, hörte es gern – wie wir Autoren sind.

Ich war dann bei einem Klassentreffen von ihm dabei, sass mit an der langen U-förmigen Tafel. Fühlte mich freundlich einbezogen – allerdings wurde lateinisch gesprochen. Ja natürlich, dachte oder fühlte ich etwa, die sind alle firm in Latein. Da wachte ich auf, ohne Bedauern, es war ein schöner und freundlicher Traum.

Tatsächlich ist es so, dass „unser“ Papst mein persönlicher Man of the Year ist (auf dem Cover des Time Magazine hab ich Ben Bernanke als solchen erblickt und ungläubig gestaunt und diese Nummer nicht gekauft, aus Trotz).

Meine Bekanntschaft mit der Theologie Ratzingers/ Benedettos hat sich scheinbar zufällig ergeben. Meine Frau und ich waren in Kaiserswerth am Rhein spazieren und haben der schönen Kirche St. Suitbertus einen kurzen Besuch abgestattet. Und da stand neben vielen nichtsnutzigen Broschüren (einem Katechismus, der ausserehelichen Sex, in jeder Form und jedem Lebensalter, als Sünde bezeichnet!) die Enzyklika spe salvi. Kostete 1 Euro. Na, ich hab meine Münze eingeworfen und das Ding mitgenommen und irgendwann zuhaus zu lesen begonnen, eingestellt auf Grimm und Widerspruch. Was ich las, hatte ich wirklich nicht erwartet. Da sprach ein hochgebildeter, lieber, guter und für Vernunft offener Mensch zu mir.

Inzwischen hab ich alles von ihm gelesen – und warum komme ich auf die Idee, Ihnen das zu erzählen? Ich staune manches Mal, wenn ich denke, wie folgerichtig meine Entwicklung sich mir heute darstellt.

In meinem ersten Roman Und dann hab ich geschossen der Wutschrei gegen die barbarisch gepredigte Religion in Aalen/Württemberg; Salvator- und Marienkirche boten nun wirklich keinerlei Inspiration, keinerlei emotionelle Heimat – im Gegenteil, das war so fremd wie furchterregend und unheimlich. Niemand ausserhalb des Klerus hatte mich oder meinen geliebten „Opa“, meinen damals einzigen Halt im Leben, je mit ewigem Feuer bedroht.

Dann die Auseinandersetzung in dem Roman Eine kleine Kraft, jetzt setzte ich mich als Erwachsener „sine ira et studio“ mit dem Problem auseinander, das nicht vergessen, bis dahin aber in den Hintergrund gedrängt worden war. Kaplan Danscher von St. Ludwig bot viele Anregungen.

Als dritte Station mein Drehbuch für den Film Oh du Fröhliche, in dem das Christkind, stellvertretend für jedes Kind, als unverzichtbare Hoffnung dargestellt ist, weil es – wer weiss – einmal unsere Probleme lösen wird.

Aber was blieb, ist eine mir zunächst unüberbrückbar gewesene Kluft zwischen aufgeklärter Vernunft und der Notwendigkeit sittlich-transzendentaler Bindung. Diese Kluft hat die Theologie Ratzingers wie selbstverständlich überbrückt. Fides et ratio von Johannes Paul II. übrigens hatte das nicht geleistet, nicht für mich! Diese Sammlung von Bibelzitaten fand ich unlesbar und ermüdend. Meine Reaktion darauf: Dass Woityla seine Bibel kennt, hätte ich ihm auch ohne die Enzyklika geglaubt.

Ganz anders Ratzinger. Der kann erzählen! Der ist gescheit! Die Verschmelzung – kann man fast sagen – des griechischen Philosophengotts (wie Plato ihn definiert) mit der geschichtsmächtigen, mitwandernden Gottheit Abrahams war mir nie klar geworden. Darüber hat nie jemand im schwarzen Rock gesprochen – nicht mit mir. Bis zu der ganz unerhörten Formulierung Ratzingers, dass der Gott des Seins am Anfang steht und der Gott der Geschichte am Ende – da bleibt einem ja für einen Moment das Herz stehen: Es ist die Versöhnung von Sein und Zeit, die Heidegger nicht gepackt hat!

Ich sehe Sie lächeln, nicht ohne Nachsicht, weil ich gar so begeistert bin. Und ich muss ja auch selbst über mich lachen. Als ich etwa fünfzehn war, stürmte ich mal aus meinem kleinen Zimmer in Mü-Bogenhausen, Neue Heimat, zu meiner Mutter in die Küche: Du, ich hab ein unglaublich gutes Stück gelesen, ergreifend und komisch und alles! Sie liess den Kochlöffel fahren: Was für ein Stück?! Ich sagte: Hamlet von Shakespeare. – Da nahm sie den Kochlöffel wieder in die Hand. Ach so, naja, weisst du, das ist nicht so neu, wie du es jetzt empfindest.

Gerade weil ich so tief beeindruckt bin, muss ich mich manches Mal wundern, wenn ich sehe, an welche Themen der grosse Denkertheologe sich nicht recht herantraut. An einer wunderbaren Stelle definiert er die Erbsünde: Niemand lebe von Null an, keiner beginne unversehrt von der Geschichte.

Wenn er jetzt noch einen einzigen Schritt weiterginge und zugäbe, dass keiner sein Leben unversehrt von seiner persönlichen Geschichte und seinem persönlichen kulturellen Umfeld beginnt – dann wär er bei, drei Kreuze, der Tiefenpsychologie. Der Name Freud taucht beim grossen Mann immer nur beiläufig auf, und dann schiebt er ihn eher weg, als dass er ihn an sich heranliesse. Kann dahinter auch – unter anderm, versteht sich – die Rivalität des „Hirten“ stehen, der seine Schäflein allein weiden und keinen andern Aufpasser dulden will?

Was ist der Theologe? Der Theologe ist ein Mensch! Damit bin ich bei der andern Schwachstelle des Bewunderten, der uns angeborenen animalischen Ausstattung, zu der ja auch das sogenannte Böse gehört: Aggression, Rivalität. Dass der homo sapiens ein Seitenzweig der Primaten ist, die wiederum eine hohe (komplexe) Entwicklungsstufe im Tierreich darstellen, dürfte seit Darwin und den vielen Biologen, die seine Beobachtungen überprüft haben, nicht mehr bestreitbar sein. Doch auch der Name Darwin wird vom bedeutendsten meiner diesjährigen Inspiratoren kaum erwähnt, und wenn, dann abtuend.

Es wäre nicht nötig! Dass die Genesis Bilder erzählt und nicht die buchstäbliche Wahrheit, ist ausser den wiedergeborenen Evangelikalen jedem Christen klar. Nimmt man nun das, was dort steht, bildlich, dann sagt die Bibel in ihren Bildern, was Darwin als Wissenschaftler formuliert: Wir waren Tiere, bevor wir Menschen wurden. Zunächst hatten wir keine Erkenntnis von Gut und Böse, kein Bewusstsein unserer Verantwortung für Entscheidungen, nicht einmal Freiheit zu entscheiden, und damit keine Schuldfähigkeit.

Ohne Schuld wie die Tiere lebten die ersten, die Vor-Menschen. Ohne Erkenntnis ihrer Optionen.

Dass es eine Verkörperung böser List ist (die Schlange), die uns zum Bewusstsein unserer selbst bringt, und nicht etwa Gott uns die Vernunft schenkt, der sogar davor warnt – erscheint sehr verständlich. Schuldfähig geworden, werden die Menschen dann bald tatsächlich schuldig, und das ist nicht schön. Gott warnt zu Recht. Und doch hat er Eva die Freiheit gelassen, den Apfel zu pflücken und zu reichen, und Adam die Freiheit, zu akzeptieren.

Dass wir Tiere waren, bevor wir Menschen wurden, ist der Kern der Darwinschen Hypothese, die zu den bestbelegten der Moderne gehört. Genau das steht schon in der Genesis.

Der Glaube stirbt, wenn er mit der Vernunft nicht mehr vereinbar ist. So starb der Glaube an die griechischen Naturgottgewalten, nachdem Plato ihn widerlegt hatte. Sagt Ratzinger, ich referiere nur. So wird auch christliches Leben in Gewohnheit und Routine absinken, warnt er, falls Vernunft das Kriterium nicht mehr ist, das den Glauben reinigt.

Bis vor kurzem haben Menschen, und was für welche, keine besonders Frommen übrigens, ihr Leben für christliche Werte eingesetzt. Die bedeutenden Widerstandskämpfer gegen Hitler haben sich, als sie vor die letzte Entscheidung gestellt waren, auf den orientiert, dessen 2009. Geburtstag wir kürzlich gefeiert haben. Wer Abendländler ist, wird das nicht leichthin verloren geben, nicht für Fun Fun Fun und Shoppen ohne Ende und Karneval pur und bunte Designergötter vom nächsten Kiosk.

Jetzt kann ich nur hoffen, dass Sie diesen langen Schrieb interessanter finden als vor zu vielen Jahren meine Mutter die Meldung von mir, dass Shakespeare mit dem Hamlet ein wunderbares Stück gelungen ist.

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