Meine Partei hat bei den Europawahlen nicht zugelegt. Sie ist enttäuscht. Die führenden Kräfte sagen: Jetzt heisst es Ärmel aufkrempeln! Jetzt wird in die Hände gespuckt. Wir müssen jetzt noch mehr auf die Wähler zugehen.
Auf die Wähler irgendwie zugegangen sind sie aber seit Jahrzehnten nicht mehr. Besonders bei Europawahlen, aber auch bei allen anderen Wahlgängen, ist eines offensichtlich: Niemand ist den Führenden meiner Partei so fremd und so egal wie die Wähler oder - wie sie gern sagen - die Wählerinnen und Wähler.
Wichtig ist der Apparat. Wer dazu gehört, wird bei jeder Wahl auf einen vorderen Listenplatz gehievt. Es können Menschen sein, die dem Wählervolk so unbekannt sind wie Martin Schulz, Spitzenkandidat der SPD bei der Europawahl. Würden Sie ihn auf der Strasse erkennen, wenn er vorbei ginge? Ich nicht. Meine Frau auch nicht. Von meinen Bekannten nicht einer. Aber der Bundesvorsitzende sagte nach der Wahlschlappe, Martin Schulz habe hervorragende Arbeit geleistet.
Es ist der Apparatismus, der so bizarre Vorgänge zeitigt. Zu jeder xbeliebigen Wahl wird aufgestellt, wer eine parteiinterne oder parteinahe Organisation hinter sich hat. Sagen wir, die Gewerkschaftsbosse des Bezirks. Sie setzen ihren Kandidaten durch. Ungefähr seit 1985 möglichst eine Frau. Diese Frau muss allerdings von der Parteibasis bestätigt werden, den Ortsvereinen. Sie besucht deshalb alle Ortsvereinsversammlungen, die meist langweilig sind, spricht dort im Sinne der Gewerkschaft und vertritt deren Interessen, und singt Lieder zur Klampfe. Dem Wählervolk bleibt sie unbekannt, doch die Wähler haben keinen Einfluss auf die Besetzung der vorderen Listenplätze.
Wichtig ist ausserdem, dass diese Frau guten Kontakt hält zur nächsthöheren Führungsebene - in der Regel wieder eine Frau mit bestimmten Machtinteressen. Gelingt das, hat unsere Kandidatin es geschafft. Empfohlen von der - sagen wir - Landesvorsitzenden, unterstützt von der Gewerkschaft des Bezirks, und bestätigt von den Ortsvereinen, weil sie so nett Klampfe spielt und dazu singt, landet sie auf einem "sicheren" Listenplatz und rückt ins Parlament ein.
Das Wählervolk fragt sich ratlos, wer diese Frau sein mag und wofür sie steht. Gesehen oder kennengelernt hat die Öffentlichkeit sie nur als Gesicht auf einem Plakat mit einem Namen, den man vergessen hat.
Leider hat die Partei auf diese Weise wieder Wähler verloren. Macht nichts: Jetzt heisst es Ärmel aufkrempeln, in die Hände spucken und auf den Wähler zugehen. Hausbesuche? Obama zum Vorbild nehmen und das Internet endlich intensiver nutzen? Es gibt viele Möglichkeiten. Nur eine Möglichkeit gibt es nicht: die tödliche Krankheit des Apparatismus zu heilen. Der Apparat ist dagegen. Er hat hervorragende Arbeit geleistet.
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Nicht nur, dass es jetzt oft eine Frau sein muss. Manchmal muss es auch ein Bürger mit Migrantenhintergrund sein, die Linkspartei hat auch den Vorsatz, immer einen Hartz-4-Empfänger aufzustellen. Mal nachdenken: Die wollen damit Gleichberechtigung bekunden? Aber ist diese Bekundung denn ehrlich, wenn man das wie ein Füllen von Statistiken betreibt?
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