Der Weg. Die ganze Welt weiss, wohin der Weg führte: zur Hinrichtungsstätte. Es wäre voraussehbar gewesen. Der hochbegabte junge Prediger hätte sich mit der im Land herrschenden Geistlichkeit, den Pharisäern, arrangieren können, wie Saulus aus Tarsus es zunächst tat. Er wäre der Monarchie unauffällig geblieben. Die Kolonialmacht Rom hätte ihn mindestens geduldet. Statt dessen hat der eloquente junge Theologe sich unter Umgehung der „Organe“ ans Volk gewandt.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die machthabenden Interessengruppen alarmiert waren. Die Beteuerung, sein Reich sei nicht von dieser Welt, mochten sie glauben oder nicht. Klüger im Sinne der Machterhaltung war es jedenfalls, von Tatsachen auszugehen, und Tatsache war, dass viel Volk dem Wanderprediger zuströmte.
Einem Populisten abzunehmen, er sei nicht auf Machtergreifung aus, ist riskant. Herrschaftserfahrung denkt an den worst case, Verlust der Macht. Das ist nur klug.
Um den Demagogen auszuschalten, bevor er gefährlich werden konnte, tötete man ihn und wiederlegte gleichzeitig seine Behauptung, er könne die Welt erlösen. Am Kreuz hängend war die Botschaft, die von ihm ausging – von seiner Leiche – klar und aller Welt verständlich: Der junge Mann hatte sich übernommen. Nicht einmal sich selbst konnte er retten, die Welt dann schon gar nicht. Das alles würde in zwei Wochen vergessen sein. So die Schlussfolgerung. Keine andere erschien glaubhaft, oder auch nur möglich.
Die Wahrheit. Man muss kein Jude sein, um sich mit Gott zu verbünden. Kein Römer, um Anspruch auf Bürgerrecht zu erheben. Einmal ausgesprochen, leuchtete diese Botschaft unmittelbar ein. Sie war, nach Jeffersons schönem Wort, self-evident. Bedurfte keines Beweises. Der Glaube daran genügte, er wurde gespeist von einer inneren Gewissheit, die durch keine Bedrohung zu erschüttern und nicht wieder aus der Welt zu schaffen war.
Das Leben. Er habe den Tod besiegt, heisst es. Hat er nicht? Tennessee Williams soll gesagt haben, das Gegenteil von Tod sei Begierde. So behauptet Woody Allen, der ewige Jüngling. Man kann Leben aber auch anders definieren als Woody.
Lebendig sind diejenigen, die uns prägen, unsere Lebensführung beeinflussen oder gar bestimmen, mindestens mitbestimmen. Will jemand behaupten, Vincent van Gogh sei tot? Seine Persönlichkeit ist uns erst nach seinem Körpertod wichtig geworden. Und wie ist es mit Anne Frank? Wenn ich ins nahe Krefeld fahre, parke ich in der Tiefgarage am Anne-Frank-Platz. Bei Fahrten nach Holland hinüber passiere ich nahe der Grenze einen Anne-Frank-Weg. Mit meiner Frau besuchte ich vor kurzem die Anne-Fank-Gedenkstätte in Duisburg. Rechtsradikale – hiess es – hätten den schwarzen Marmor verätzt. Wir legten eine Rose nieder. Anne ist „mitten unter uns“, auch sie.
Nicht von dieser Welt. Als Charles de Gaulle die versprengten Reste einer besiegten Armee vom Londoner Exil aus unter seinen Befehl rief, tat er es für La France éternelle. Für das ewige, das unzerstörbare, das ideelle Frankreich. Was damit gemeint war, wusste jeder. Das stets mögliche Frankreich. Es ist nicht irreal, nur weil es im Moment (noch) nicht existiert. De Gaulle ruft zum Kampf dafür auf und gibt damit der sich langsam um ihn sammelnden Schar eine Richtung, eine Losung, eine Fahne.
L’humanité éternelle ist kein geringeres Ziel. Wie es erreicht werden soll, weiss kein Mensch. Immer fehlt es an irgend etwas. Wie es de Gaulle an Soldaten fehlte, und an Geld, und an Reputation (zunächst): Der selbsternannte Befehlshaber hatte im Exil nichts zu bieten als den festen Glauben. Das reichte, damit hat er gesiegt. Damit und mit seiner Zuversicht. Seine erste Ansprache über das Londoner Studio der BBC beendete er mit den Worten: Nous ne sont pas seul – die er drei Mal sprach. Wir sind nicht allein. Wir sind nicht allein. Wir sind nicht allein. Der Mitschnitt ist vernichtet worden. Niemand bei BBC hielt den obskuren Franzosen für wichtig. Er war besiegt.
Besiegt war auch Stauffenberg, als ihn die tödlichen Kugeln trafen. Er hatte noch ausrufen können: Es lebe das heilige Deutschland! Ein Phantast ... Oder vielleicht doch realistischer als seine Gegner? Wessen Name wird noch genannt, wessen Leben beeinflusst unseres und prägt es mit?
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen