Mittwoch, 10. Juni 2009

FAZ u.a.: Mobilmachung gegen die Moderne

In ihrer Kampagne gegen die Moderne (siehe meinen Post Max Frisch) fährt die FAZ nun wahrhaft schweres Geschütz auf: den in jeder Hinsicht gewichtigen Peter Sloterdejk. Er unterstellt der Linken bereits in der Titelei eines laaaangen Aufsatzes, sie definiere Eigentum als Diebstahl. Im Text wird suggeriert, dies sei eine Kernlehre von Karl Marx. Das ist nicht wahr. Es sind die wütendsten Gegner von Marx innerhalb der Linken gewesen, die Eigentum als Diebstahl definiert haben: die Anarchisten. Marx entwickelt Theorien vom Mehrwert. Dieser wird in der industiellen Produktion, um die es ihm ging, nicht durch Diebstahl erzeugt (Wegnahme fremder beweglicher Sachen), sondern (vereinfacht ausgedrückt) durch Arbeit.

Sowohl Marx wie übrigens auch Lenin haben anarchistische Tendenzen in der Linken für gefährlich gehalten. Trotzkis bewaffnete Aktion gegen die postrevolutionären Anarchisten in Petersburg ist bekannt. Blut floss in den Rinnsteinen, berichtete ein Augenzeuge.

Sloterdejks Behauptung ist also sachlich derart unpräzis, dass sie als falsch bezeichnet werden kann. Warum tut er das?

Ähnlich sonderbar und zunächst unbegreiflich ist eine Schrift von Bischof Cordes, Köln, zur Psychoanalyse. Nicht nur wird Sigmund Freuds Lebensleistung niedergemacht; laut Rheinischer Post empfiehlt der Bischof sogar kirchliche Seelsorge anstelle von psychotherapeutischen Behandlungen. Das erinnert an radikale Sekten, die ihre Kinder an Blinddarmentzündung sterben lassen, statt sie operieren zu lassen.

Psychotherapien werden von Krankenkassen gewöhnlich dann verschrieben, wenn schwere körperliche Syxmptome offenbar psychisch verursacht sind, nicht organisch. Will der Bischof Herzrhythmusstörungen wegpredigen? Das kann er nicht. Weshalb sagt er dann so etwas? Hat die Kirche nicht schon an einem Galileo Galilei genug? Will sie sich demnächst noch einmal entschuldigen müssen?

Zuerst wird Max Frisch aufs Korn genommen, dann Karl Marx, schliesslich Sigmund Freud. Es erinnert mich an die Zeit ungefähr um 1967. Damals stand jeden Tag - buchstäblich - ein Artikel in der Zeitung und besonders oft in FAZ, der behauptete, dass Marx ein Scharlatan gewesen und seine Analyse der Kapitalbewegungen überholt, veraltet, ausserdem grundfalsch sei. Zu Beginn der Studentenbewegung besuchte ich, der diese Thesen für glaubhaft hielt, den Club Voltaire der Stadt, in der ich lebte. Ich fragte einen Assistenten Peter Brückners in herauzsforderndem und rechthaberischem Ton, was von Marx überhaupt noch lesbar sei. Er empfahl mir den 18. Brumaire des Louis Bonaparte.

Ich las das Bändchen im Freibad durch - und erlebte einen der schweren Kulturschocks meines Lebens. Der 18. Brumaire gehört zu den brillantesten Stücken essayistischer Prosa, die wir in deutscher Sprache kennen. Ich war belogen worden.

Aber warum solche Lügen, die durch zwei Stunden Quellenlektüre widerlegt sind? Damals hatten die Besitzenden Angst vor der weltweiten Rebellion ihrer eigenen Töchter und Söhne. Wovor fürchten sie sich jetzt? Die akademische Jugend hält still.

Werden die Studierenden wieder einmal aus der Stube heraus treten und uns zurufen: Ich bin nicht Stiller!? - Und ist es das, was die Besitzenden so fürchten?

Ich wage eine Schlussfolgerung: Der bedeutende Mitherausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, wird demnächst von seinen Verlags- und Redaktionsposten zurücktreten. Denn das kann er nicht mitmachen, er nicht. Bin ich naiv?

1 Kommentar:

  1. Ja, wofür fürchten sich die? Vielleicht vor dem Pleitegehen. Denn solche rechthaberischen Behauptungen kommen gut an in unserer rechthaberischen Welt, und was da gut ankommt verkauft sich auch gut, in Schriften und Berichten. Klar ausgedrückt plagt mich in diesem Bezug manchmal die Vermutung: Die wollen damit Geld machen, dass sie schlecht über linksgerichtetes schreiben, heute, wo jeder wegen der drohenden Islamisierung plötzlich auf rechtspopulismus reinfällt. Die wollen damit Geld machen, dass sie schlecht über die Psychoanalyse schreiben, in diesem Fall aus kirchlicher Sicht, heute, wo sogar bei einem so klaren Fall wie dem des Bischof Williamson der Papst in seiner Fehlbarkeit noch verteidigt wird, ein Nachhall der Wir-sind-Papst-Euphorie. Auf die Kirche hört man dann, auch wenn jegliche Logik entbehrt wird, die legt man sich schon irgendwie zurecht.
    Und auch damals schon, vor 40 Jahren, hat es eben manch Kulturbetriebe gegeben, die möglicherweise falsche Einstellungen nicht hinterfragt haben, weil der Kunde dafür ja zahlt.

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